„Gott spricht: Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken.“

Was für eine starke, einprägsame und konsequente Botschaft! Gott zugeschriebene Zitate wie dieses alttestamentarische hier, haben einst meinen Kinderglauben geprägt. Gott steht seitdem in meiner Gefühls- und
Seelenwelt für Weisheit, Allmacht, Umsicht, Güte und für Barmherzigkeit. Bei ihm kann man sich gut aufgehoben fühlen: Da ist ein menschenfreundlicher Kümmerer, der den Überblick hat und sich für jene einsetzt, die Hilfe brauchen. Der besondere Clou findet sich dann im Neuen Testament und ist DER wichtige Anker für den christlichen Glauben: Gott hatte in Jesus einen irdischen Sohn, der durch sein Wort und seine Taten Menschen auf der ganzen Welt bis heute dazu bringt, ihm zu folgen und sich ein Beispiel an ihm zu nehmen.
Denn Gott ist kein buchstäblicher, über allem schwebender Hirte der Allmacht und Güte, womöglich gar mit weißem Bart. Sondern vielmehr eine Idee, eine personifizierte Kraft, die letztlich vor allem in uns selbst steckt.
Bei kleinen Kindern tritt diese Kraft oft auf beeindruckend plastische Weise zutage. Sie, die in jeder Hinsicht selbst noch auf Hilfe und Schutz angewiesen sind, zögern, dies ist wissenschaftlich gut untersucht, bereits im Alter von etwa zwei Jahren nicht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten anderen Menschen Trost und Hilfe zu geben. Wenn wir dieses Sozialverhalten beobachten, rührt uns das an.
Unter Erwachsenen sieht die Sache heute manchmal anders aus. Da werden, geboostert durch digitalmediale Netzwerke, eher die Egozentriker bewundert und nachgeahmt. Jene, die etwas für sich „schaffen“, die etwas „darstellen“. Da gilt oft die Devise: Kopfhörer auf, das Drumherum ausblenden und erstmal auf das eigene Ich schauen. Selbstausbeutung, Self-Care, Selbstoptimierung, Me-Time: Je komplizierter die Welt, desto mehr Fokus auf das individuelle Vorankommen oder das der eigenen Sippe.
Augen, Ohren gar für den Nebenmann? Vielleicht, wenn er als Vorbild, als Ansporn dient. Oder wenn er einem im Gegenzug nützlich sein kann. Oder wenn es eine familiäre Garantenstellung zu erfüllen gilt.
Ansonsten: Härte, Stärke, Performance. Definierte Abgrenzung, Ansätze von Tribalismus. Dieses kalte Feuer treibt viele an. Und ich vermute: Sein zugrundeliegender Brennstoff ist Angst…
Das Barmherzig-Umsichtige in uns Menschen droht dabei verschütt zu gehen. Auch und gerade in der anonymen Metropole, dort, wo Individualität und subtile Segregation oft mehr zählen als Bürger-Gemeinwohl. Und überhaupt: Will das Verlorene denn wiedergefunden werden? Und führt ein Umherirren nicht manchmal zu den schönsten Plätzen? Diese Fragen dürfen wir uns stellen. Und abwägen.
Wichtig ist mir dabei: Gott sagt nicht: „Du musst!“. Sondern „Ich will“.
Auch wir können im Sinne dieser Worte denken und tun. Lasst uns ebenfalls wollen! Nehmen wir uns vor, zumindest gelegentlich das Licht der uneigennützigen Nächstenliebe leuchten zu lassen. Zeigen wir Mut, uns an die Seite der Ausgegrenzten, der Armen, der Einsamen zu stellen. Teilen wir mit ihnen unsere Ressourcen. Bemerken und stärken wir sie. Erwecken wir die Kraft zur Solidarität. Auch kleine Beiträge, kurze Gesten zählen. Für alle, die es brauchen.
Ihr Kirchengemeinderat Thomas Kegat